Vor rund einem Jahr debütierte die neue Marke Lemmo mit ihrem ersten Bike, dem Lemmo One. Zwischenzeitlich hat sich der Prototyp zum Serienmodell entwickelt und kann neben dem minimalistischen Design auch mit vielen smarten Features aufwarten: so sind Ortungsfunktion, Wegfahrsperre, Alarmanlage und eine umfangreiche App-Konnektivität vorhanden. Zudem gibt es einen manuellen Modus, mit dem sich das Bike auch ohne elektrischen Antrieb wie ein reguläres Fahrrad bewegen lassen soll. Große Ambitionen also! Doch wird das Lemmo One auch seinen grundsätzlichen Anforderungen als E-Bike gerecht?
Design
Fangen wir beim ersten Highlight des Lemmo One an, dem Design des Bikes. Auffälligstes Merkmal ist dabei sicherlich der Akku, denn dieser ist nicht im Rahmen integriert und Lemmo versuchte auch erst gar nicht, diesen irgendwie zu verstecken. Ganz im Gegenteil! Man hat den Akku recht auffällig im vorderen Rahmendreieck platziert, wo er einen wirklich dominanten Platz einnimmt. Dass dies aber keinesfalls negativ störend wirkt, liegt an seiner ebenso außergewöhnlichen Form und Oberfläche mit hochwertigem Stoffbezug – so erinnert der als Smartpac bezeichnete Akku eher an einen schicken Design-Lautsprecher als an einen klobigen Energiespeicher. Eine ansprechende Lösung, die in dieser Form und Qualität bislang kein anderer Hersteller gezeigt hat!
Weiterer Vorteil dieses Systems: nutzt man das Lemmo One ohne Akku als herkömmliches Fahrrad, dann sieht das Bike auch aus wie ein herkömmliches Fahrrad. Wo bei anderen E-Bikes eine leere Öffnung im Rahmen klaffen würden, erinnert beim Lemmo einzig eine schlanke Führungsschiene in hellgrüner Kontrastfarbe an den fehlenden Akku. Die elegante Rahmenform kommt dabei nochmals besser zur Geltung, bei der vor allem das nach innen versetzte Sitzrohr auffällt, das mit der Sattelstütze eine optische Einheit bildet. Und ebenso wie die Sattelstütze ist auch der Vorbau in der Rahmenfarbe pulverbeschichtet, zudem sorgt das Fehlen sichtbarer Schweißnähte für einen cleanen Look. Gleiches gilt für die Verlegung von Kabeln und Leitungen, die direkt unter dem Vorbau ins Innere des Rahmens geführt werden.
Passend zur minimalistischen Designsprache ist auch die Integration des E-Antriebs (natürlich abgesehen vom Akku) sehr unauffällig. Der Nabenmotor im Hinterrad ist hinter dem Kettenblatt kaum zu sehen und ein kompaktes, monochromes Display ist bündig im Oberrohr integriert. Die Steuerung des Systems erfolgt über zwei kleine Daumentaster am Lenker.
Ausstattung
Trotz des minimalistischen Looks ist die Ausstattung des Lemmo One durchaus umfangreich und richtet sich an Pendler, die das Bike bei jedem Wetter nutzen. Dazu verfügt das Bike über stabile Schutzbleche mit Haltern für Gepäcktaschen hinten, eine Lichtanlage und einen Fahrradständer. Dieser ist mittig am Tretlager verbaut, was manchmal etwas umständlich ist (die Pedale drehen sich beim Rangieren mit und bleiben dann am Ständer hängen). Ein Hinterbauständer wäre da sicherlich praktischer gewesen, doch womöglich gab es nicht ausreichend Platz für diese Ausführung. Denn dort am Hinterbau hat Lemmo etwas Besonderes verbaut:
Ein integrierter Stellmotor sorgt an genau dieser Stelle dafür, dass sich das Bike mechanisch sperren lässt und das Hinterrad nicht mehr drehen kann – eine Wegfahrsperre sozusagen. Für zusätzlichen Diebstahlschutz gibt es zudem eine Alarmanlage, die bei einer Bewegung des Bikes ein akustisches Alarmsignal auslöst. Und dank integriertem GPS-Modul kann das Bike über die Smartphone-App geortet werden.
Doch bleiben wir noch einen Moment beim Hinterrad: hier ist ein Nabenmotor mit typischen 40 Nm Drehmoment verbaut. Allerdings weist schon dessen Beschriftung Dual Mode Hub auf einer weitere Besonderheit hin: über eine Kappe an der Achse lässt sich der Freilauf mechanisch vom elektrischen Antrieb im Motor trennen – damit soll sich das Hinterrad wie bei einem herkömmlichen Fahrrad ohne zusätzlichen Widerstand drehen können.
Mit 540 Wh bietet der Akku für diese Fahrradklasse eine durchaus hohe Kapazität; umso praktischer daher, dass man diese auch abseits des Bikes nutzen kann: Denn dank zwei USB-Anschlüssen (USB-A und USB-C) kann man damit auch mobile Geräte wie Laptop oder Smartphone laden – der Name Smartpac kommt also nicht von ungefähr!
Neben so viel Hightech sind am Lemmo One aber auch ganz klassische Fahrradkomponenten verbaut: als Schaltung kommt hier eine Kettenschaltung aus Shimanos Deore-Serie zum Einsatz, die mit 10 Gängen und einer 11–42 Kassette viel Bandbreite für jegliches Terrain bietet. Ebenso aus der Deore-Serie stammten die hydraulischen Scheibenbremsen und die Bereifung im 27,5″-Format ist mit 44 mm durchaus gut gewählt für den urbanen Einsatz.
Bedienung
Wie man schon sieht: in diesem Bike steckt eine Menge an Technik. Kaum verwunderlich daher, dass auch das Smartphone eine zentrale Rolle einnimmt – denn ohne diesem geht kaum etwas! Das fängt bei der Entsperrung des Bikes an, die mittels App erfolgt. Über einen Schieberegler wird ein Stellmotor im Rahmen aktiviert, um die mechanische Sperre des Hinterrads zu lösen. Gleiches gilt auch für das Smartpac: will man dieses entnehmen, muss es via App über einen weiteren Stellmotor entkoppelt werden. Beide Funktionen sollten eigentlich unabhängig voneinander gesteuert werden können, was allerdings zumindest mit der aktuellen Software-Version nicht möglich war. Ebenso war die Ortung per GPS nicht sehr präzise und Alarme wurden nicht auf der App mitgeteilt (wohingegen die Alarmanlage an sich stets zuverlässig funktionierte). Insgesamt merkt man bei der App-Konnektivität dem Lemmo One noch an, dass es sich um ein ganz neues System handelt. Software-Updates in der Zukunft dürften hier sicherlich noch Verbesserungen bringen!
Das Gute aber ist: wenn das Bike erstmal entsperrt ist, dann lässt es sich ganz ohne App nutzen. Die drei Unterstützungsstufen des Motors werden über den kompakten Daumentaster rechts am Lenker gesteuert. Drückt man diesen einmal, schaltet man die Modi in einer Reihe durch, mit einem doppelten Tastendruck lässt sich aber auch ein Modus zurückschalten. Leider ist der Druckpunkt des Tasters etwas schwammig und das Umschalten erfolgt mit einer kurzen Verzögerung. An der linken Seite findet sich übrigens nochmals ein solcher Taster. Dort fungiert er als elektronische Fahrradklingel – wurde aber leider kaum von einem Verkehrsteilnehmer als solche wahrgenommen. Auch hier darf man hoffen, dass Lemmo mit einem Software-Update noch weitere Klingeltöne als Alternative anbietet.
Visuelles Feedback zum E-Antrieb gibt das Display am Oberrohr, das gut ablesbar ist und im Test auch bei Sonnenschein stets ausrechend hell war. Neben der Geschwindigkeit wird hier auch der aktuelle Fahrmodus sowie die verbleibende Akkukapazität angezeigt – und zwar für zwei Akkus! Denn neben dem Smartpac hat das Lemmo One auch noch einen weiteren Akku im Rahmen integriert. Dieser sorgt für die Stromversorgung, wenn das Bike als klassisches Fahrrad ohne seinen eigentlichen Akku genutzt wird. Damit funktioniert dann die integrierte Fahrradbeleuchtung ebenso wie das Display am Oberrohr. Wieder so ein Detail, das das man bislang an anderen E-Bikes vergeblich suchte! Für diesen manuellen Einsatz kann man dann auch den Motor im Hinterrad wie angesprochen in den sogenannten M-Modus stellen: dazu wird die Kappe auf der Achse etwas rausgezogen und leicht gedreht, was einfach von der Hand geht.
Das Smartpac selbst muss wird per App vom Bike getrennt werden – kann dann aber mühelos und präzise vom Bike abgenommen und auch wieder angedockt werden. Dabei hilft die stabile Führungsschiene aus Metall immens, zudem rastet der Akku beim einsetzen mit einem satten Klacken wieder ein. Sehr gut!
Und auch an den klassischen Fahrradkomponenten selbst gibt es keinen Grund zum Tadel: die Bremsen packen fest zu und die Deore-Schaltung ist präzise und schnell in der Bedienung – kein Wunder, handelt es sich dabei auch nicht gerade um ein billiges Einsteigermodell sondern um die solide Mittelklasse bei Shimano.
Fahreindruck
Neben den technischen Finessen überrascht das Lemmo One auch durch sein vergleichsweise geringes Gewicht. Das Testrad in der Größe L brachte fahrfertig 19,2 kg auf die Waage, der große Akku allein trägt dazu mit 3,1 kg bei. So überrascht es auch nicht, dass sich das Bike durchaus agil bewegen lässt – wobei die Sitzposition dabei komfortabel und nicht zu gestreckt ist. Erreicht wird dies durch den leicht erhöhten Riser-Lenker und auch der bequeme Sattel sowie die ergonomisch geformten Lenkergriffe tragen dazu bei.
Sorgen bezüglich der Fahrstabilität durch den weit oben platzierten Akku braucht man sich übrigens nicht zu machen. Zwar ist es sicherlich richtig, dass ein solch schweres Bauteil besser weit unten und mittig verbaut wäre. Da man mit einem solchen Urban Bike aber nicht wie mit dem Rennrad auf Zeitenjagd geht und auch keine wackeligen Mountainbike-Manöver im Gelände vollführt, spielt dieser Aspekt hier eine eher untergeordnete Rolle.
Kommen wir zum elektrischen Antrieb – und hier zeigen sich leider einige Kritikpunkte. Zwar arbeitet der Nabenmotor im Hinterrad wunderbar leise und ist auch in Sachen Leistung durchaus mit anderen Modellen vergleichbar. Allerdings ist die Kraftentfaltung des elektrischen Antriebs nicht besonders harmonisch. So setzt der Motor stets leicht verspätet ein und braucht mindestens eine halbe Pedalumdrehung, bis er anspricht. Dies geschieht dann ziemlich ruckartig, was einen gleichmäßigen Tritt ins Pedal erschwert. Dieses Verhalten zeigt sich umgekehrt dann auch an der Grenze von 25 km/h, bei der der Motor den gesetzlichen Vorgaben entsprechend abschalten muss.
Ursache dafür ist sicherlich die Tatsache, dass im Lemmo One kein Drehmomentsensor verbaut ist – was äußerst schade ist, da diese Technologie meist ein sehr natürliches Fahrgefühl garantiert und zudem in letzter Zeit sogar in günstigen E-Bikes immer mehr Verwendung findet. Immerhin: Lemmo hat nach eigenen Angaben letzte Woche (Stand Juni 2023) ein Firmware-Update veröffentlicht, das die Motorsteuerung verbessern soll – für den Test kam dies allerdings leider zu spät.
Auch durch diesen Umstand bietet die Kettenschaltung am Lemmo One einen wichtigen Vorteil. Lässt sich mit ihr doch ganz gut ausgleichen, dass durch den verzögerten Einsatz des Motors beim Anfahren am Berg relativ viel Kraft nötig wird. Abgesehen davon bietet die Gangschaltung natürlich viel Flexibilität für unterschiedlichste Strecken, was insbesondere auch beim Einsatz des Bikes im manuellen Modus nützlich ist.
Die manuelle Entkopplung des Motors im M-Modus spürt man während der Fahrt nicht besonders stark, da aktuelle Nabenmotoren generell einen relativ geringen Widerstand haben. Am ehesten zeigt es sich am längeren Ausrollen des Rads. Deutlich krasser ist jedoch das um drei Kilogramm leichtere Gewicht des Bikes ohne Smartpac zu spüren. So macht sogar das stromlose Fahren Spaß, zumal man auf die Funktion des Displays und der Lichtanlage nicht verzichten muss.
Eben diese Lichtanlage dient übrigens hauptsächlich dazu, im Straßenverkehr gesehen zu werden. Denn der kleine 20 Lux-Scheinwerfer an der Front bietet nur begrenzte Möglichkeiten, die Straße zu erhellen. Dank guter Verarbeitung und soliden Teilen ist man dabei jederzeit fast lautlos unterwegs, denn am Lemmo klapperte während der Fahrt nichts.
Fazit
Zuerst kann man Lemmo ein großes Kompliment zu ihrem ambitionierten Erstlingswerk aussprechen: ein solch innovatives und durchdachtes Bike ist fraglos beachtlich! Das minimalistische Design ist gelungen, ebenso wie eigenständige Lösung mit dem schicken Smartpac-Akku. Und der manuelle Modus ist ein echter Mehrwert – auch wenn die Mehrheit womöglich doch meist rein elektrisch unterwegs ist. Genau hier leistet man sich dann aber einen kleinen Patzer durch die etwas unharmonische und ruppige Unterstützung des Motors. Zwar dürften kommende Firmware-Updates weitere Verbesserung bringen, einen Drehmomentsensor werden diese aber auch nicht ersetzen können.
Trotzdem ist das Lemmo One eine der spannendsten Neuheiten in diesem Jahr, zumal auch der Preis wirklich attraktiv ist: aktuell kostet das Bike nur 1.090 Euro, allerdings ohne den Smartpac-Akku. Für diesen werden zusätzliche 900 Euro fällig, womit der Gesamtbetrag bei unter 2.000 Euro liegt! Nutzer in Berlin können den Akku auch optional gegen eine Monatsgebühr mieten. Neben zwei Rahmengrößen gibt es das Lemmo One auch als ST-Variante mit absteigendem Oberrohr, jeweils in den Farben Grau (wie hier im Test) und Sand. Alle weiteren Infos zum Bike gibt es direkt auf der Website von Lemmo.
Update: Wir hatten inzwischen die Gelegenheit, das Lemmo mit einem neuen Update und verbesserter Motorsteuerung zu fahren. Den Artikel dazu gibt es hier, dort erfahrt ihr auch mehr zur neuen Singlespeed-Variante mit Zahnriemen.