Carbon-Bike mit Automatikgetriebe

Canyon Precede:ON im Test: Attraktives Design-Bike aus Carbon mit Vollausstattung

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Mit einem Paukenschlag stellte Canyon vor gut einem Jahr das neue Line-Up an urbanen E-Bikes vor – und neben dem bereits hier getesteten Commuter:ON zog dabei besonders das Precede:ON die Blicke auf sich. Kein Wunder, denn ein solch durchgestyltes E-Bike mit alltagstauglicher Ausstattung sieht man eher selten. Ob das Bike aber – abgesehen vom Design – auch in anderen Punkten überzeugen kann, zeigt sich in diesem Test.

Design

Ein extravaganter Carbon-Rahmen, voll integrierte Technik und ein cleanes Design – solche Attribute kennt man eher von purstischen Sporträdern als von einem voll ausgestatteten Urban Bike. Und doch gelingt Canyon beim Precede:ON genau dieser Spagat aus futuristischem Design und dennoch alltagstauglichen Funktionen.

Wesentlicher Bestandteil der äußeren Erscheinung ist natürlich der Rahmen, bei dem man auch die Gabel und insbesondere das Cockpit einbeziehen muss. Dank der Bauweise aus Carbon sind hier solch fliessende Übergänge möglich, dass zum Beispiel die Lenker-Vorbau-Einheit wie ein fester Bestandteil des Rahmens wirkt.

Und gerade hier am Cockpit zeigt Canyon, was inzwischen in Sachen Integration von Komponenten machbar ist: sämtliche Kabel werden direkt ins Innere des Lenkers geleitet, die Bremsleitungen sieht man sogar überhaupt nicht. Und auch das Kiox-Display des elektrischen Antriebs fügt sich bündig in den Lenker ein, ebenso ist dort die Befestigung des Scheinwerfers integriert.

Im Unterrohr befindet sich der Akku, am Tretlager der Motor – und trotz ihrer recht goßen Abmessungen fallen beide Komponenten nicht wirklich störend auf, da auch der Rahmen selbst recht wuchtig geformt ist. Filigran präsentiert sich hingegen die Sattelstütze, ebenso aus Carbon gefertigt und mit federnder Funktion. Doch dazu später mehr.

Wie die Sattelstütze sind auch alle anderen Anbauteile in schwarz gehalten, was den Rahmen – hier in der Farbgebung Champagne – noch mehr in den Mittelpunkt stellt. Nicht übersehen sollte man dadurch aber die vielen kleinen Details: zum Beispiel der stabile, aber dennoch elegant befestigte Gepäckträger, dessen Halterung parallel zum Sattelrohr verläuft. Oder die von außen unsichtbar versteckte Sattelstützenklemme. Und besonders der Fahrradständer, welcher in eingeklapptem Zustand kaum auffällt und wunderbar flach an der Kettenstrebe liegt.

Stichwort Kettenstrebe: das hier getestete Modell ist – anstatt mit einer Fahrradkette – mit einem Zahnriemen ausgestattet, als Schaltung kommt eine stufenlose Getriebenabe im Hinterrad zum Einsatz. Auch diese beiden Komponenten tragen zum aufgeräumten Look des Bikes bei.

Bei einem solch vollintegrierten Design muss man sich aber aber bewusst sein, dass nachträgliche Anpassungen in Bezug auf die eigene Körpergröße und Sitzposition kaum möglich sind. Abgesehen von der Höhe des Sattels lässt sich am Precede:ON nichts verändern. Auch der Austausch von Vorbau und Lenker durch andere Komponenten ist nicht möglich. Zu große Sorgen braucht man sich deswegen aber kaum zu machen – als Direktvermarkter hat Canyon langjähriger Erfahrung, was die passende Geometrie eines Fahrrads angeht. Mit meinen 1,85 Metern passte das Precede:ON in Größe L perfekt.

Ausstattung

Canyon verbaut am getesteten Commuter:ON CF 9 die Enviolo Automatiq-Schaltung, eine stufenlose Nabenschaltung mit 380 % Bandbreite. Der Zusatz Automatiq verweist dabei auf die Fähigkeit der Schaltung, automatischen zu schalten – dem entsprechend gibt es am Lenker auch keinen Schalthebel.

Dort finden sich somit nur zwei Bremshebel der TRP-Scheibenbremsen und das zentral positionierte Kiox-Display samt Daumentaster für den Bosch-Antrieb. Zudem gibt es noch einen weiteren, kleinen Taster: mit diesem wird das Fernlicht des Supernova Mini 2-Scheinwerfers eingeschaltet, das Abblendlicht wird wie gewohnt vom Display aus aktiviert.

Auch das Rücklicht stammt von Supernova und ist am breiten Alu-Schutzblech von Wingee befestigt – ebenso wie der Gepäckträger, der Befestigungen für Ortliebs Quick-Lock3.1-System bietet. Grund für die breiten Schutzbleche sind natürlich die Reifen, denn hier sind Schwalbes G-One Allround in der Größe 27,5″ mit einer mächtigen Breite von 57 mm montiert.

Beim Motor setzt Canyon ebenso auf Größe und verbaut Boschs Flaggschiff vom Typ Performance Line CX mit 85 Nm Drehmoment. Der PowerTube-Akku im Unterrohr bietet eine Kapazität von 500 Wh und kann zum aufladen entnommen oder direkt im Bike aufgeladen werden. Die Kraftübertragung von der Kurbel zum Hinterrad übernimmt der Gates Carbon Drive Zahnriemen.

Komplettiert wird die umfangreiche Ausstattung von Fahrradständer, Ergon-Lenkergriffen und einer Knog Oi-Klingel. Außerdem vom Selle Royal Essenza-Sattel, der auf Canyons S25 Carbon-Sattelstütze thront. Dank einer patentierten Konstruktion aus zwei Blattfedern soll diese Sattelstütze bis zu 20 mm Federweg bieten.

Interessante Info für alle, die einen Anhänger mit dem Bike nutzen wollen: das Precede:ON ist von Canyon offiziell für die Anhänger von Croozer freigegeben und lässt sich auch direkt mit einer passenden Kupplungs-Achse bestellen – was auch hier im Test genutzt wurde.

Bedienung

Schon ein Blick auf das Aufgeräumte Cockpit deutet an, dass die Bedienung des Precede:ON recht einfach sein dürfte. Und so ist es auch: der elektrische Antrieb wird über den Daumentaster am Lenker gesteuert. Dieser hat einen sehr guten Druckpunkt, mit den fünf Tasten lassen sich – logisch am Display nachvollziehbar – verschiedene Einstellungen vornehmen. So ändert man bequem die gewünschte Fahrstufe (es stehen Eco, Tour, Sport und Turbo zur Auswahl) oder lassen sich verschiedenste Informationen zu Geschwindigkeit, Reichweite, Fahrzeit oder Wattleistung anzeigen. Sogar zur Navigation kann man das Display nutzen: mit Boschs passender App lassen sich gewünschte Routen direkt auf das Display übertragen, die Routenführung wird dann mit Richtungspfeilen angezeigt.

Doch gibt es noch eine weitere Einstellung: so lässt sich eine gewünschte Kadenz festlegen. Und hier kommt nun die automatische Enviolo-Schaltung ins Spiel, welche ein Fahren mit stets gleicher Trittgeschwindigkeit (Kadenz) ermöglichen soll. Fährt man zum Beispiel am liebsten mit einer Kadenz von 70 Umdrehungen pro Minute, gibt man diesen Wert ein. Nun versucht die Schaltung, die Übersetzung stets so anzupassen, dass diese Kadenz bei möglichst gleichbleibender Trittkraft gehalten wird. Die eingestellte Wunsch-Kadenz bleibt übrigens gespeichert, kann aber jederzeit wieder verändert werden. Eine komplexe Technik, von der die Nutzer aber nichts bemerken – schließlich muss man einfach losfahren, den Rest erledigt die Schaltung von allein.

Wer möchte, kann die Schaltung übrigens auch noch exakter an die eigenen Bedürfnisse anpassen: mit Enviolos eigener App lassen sich nicht nur die Firmware des Getriebes aktualisieren, sondern auch zahlreiche Einstellungen zum Schaltverhalten festlegen. Dass sich dieser Aufwand lohnen kann, wird gleich noch zum Thema.

Der Akku sitzt im Unterrohr und lässt sich aus der präzise geformten Öffnung einfach herausnehmen. Wer ihn jedoch im Bike aufladen möchte, muss dazu eine Gummikappe am Tretlager öffnen – diese lässt sich leider ganz und gar nicht präzise, sondern eher fummelig bedienen.

Auch die übrige Bedienung des Bikes ist selbsterklärend und wirft keine Fragen auf: Der Taster des Fernlichts lässt sich gut erreichen und leuchtet aktiviert in blau, wie man es aus dem PKW kennt. Die federnde Sattelstütze benötigt keine Wartung, ebenso muss sie nicht ans Gewicht der Fahrer:in angepasst werden.

Fahreindruck

Die ersten Meter mit dem Precede:ON waren etwas ernüchternd: Das Anfahren fühlte sich an, als würde man ins Leere treten. Die Schaltung reagierte darauf mit hektischen, hochfrequenten Tönen. Und der Bosch-Motor brummte laut und rau. Was ist hier los? Einmal in Fahrt, fühlte sich das Bike dann schon „normaler” an. Und wenig später kam dann die erfreuliche Erkenntnis, welch hohen Komfortgewinn eine solche stufenlose Automatikschaltung doch bieten kann. Viele konträre Eindrücke, Zeit für eine Analyse.

Wer zum ersten mal die stufenlose und automatische Enviolo-Schaltung benutzt, wird eventuell ähnliche Erfahrungen machen. Und tatsächlich muss man sich auf diese Technologie etwas einstellen und umstellen. So sollte man seine Gewohnheit ablegen, beim Anfahren aus dem Stand viel Kraft aufzuwenden – denn die Schaltung legt im Stand automatisch einen kleinen Gang ein, der nur wenig Kraft zum Anfahren erfordert. Beim Start kann man es also entspannt angehen und auch während der Fahrt sollte man nicht zur Hektik neigen. Denn tendenziell passt die Enviolo Automatiq die passende Übersetzung eher gemütlich, und gefühlt leicht verzögert, an.

Lässt man sich auf dieses Arbeitsweise ein, lernt man die Vorzüge des Systems aber schnell zu schätzen: Gerade im Stadtverkehr mit vielen Ampelstops ist es ein Genuss, eben gar nicht mehr schalten zu müssen! Die Enviolo stellt stets die passende Übersetzung ein und nimmt einem dadurch viel „Arbeit“ ab. Die Bedienung einer Gangschaltung als Arbeit zu bezeichnen, mag zwar übertrieben klingen – aber tatsächlich fährt es sich deutlich entspannter, wenn man darauf verzichten kann.

Kommen wir zur Geräuschkulisse: Fährt man mit der Enviolo-Schaltung entspannt an, beruhigt sich dabei auch ihre Geräuschentwicklung – und während der Fahrt hört man zwar die hochfrequenten Arbeitsgeräusche, jedoch ohne dass diese störend auffallen würden. Der Freilauf der Nabe ist ganz geräuschlos, gleiches gilt natürlich auch für den Zahnriemen.

Eine merkliche Verbesserung brachte zudem das Update der Enviolo-Firmware: damit verbesserte sich nicht nur die Performance des Getriebes, sondern auch die Lautstärke des Motors. War der Bosch Performance Line CX zu Beginn fast schon störend laut, so ist er nach dem Update zwar nach wie vor hörbar – nun aber durchaus akzeptabel.

Zweifelsfrei überzeugend ist die Leistung des Motors: mit seinem hohen Drehmoment lässt sich das Precede:ON mühelos bewegen. Und das nicht nur in der Ebene, sondern auch an steilen Anstiegen – und dort sogar auch mit beladenem Fahrradanhänger! Gerade wer die Nutzung eines Anhängers einplant, kann beruhigt zu dieser Motor-Schaltungs-Kombination greifen.

Mit seinem langen Radstand, fetter Bereifung und breitem Cockpit fährt sich das Precede:ON sicher und stabil, lässt dabei auch schnell bewegen. Enge Kurven und verwinkelte Pfade liegen ihm dagegen nicht so sehr, was auch am Gewicht liegt: In Größe L brachte das Bike 22,6 kg auf die Waage – damit ist es zwar kein Leichtgewicht, gemessen an der Ausstattung ist dieser Wert aber durchaus gut.

Unebenheiten wie Kopfsteinpflaster werden schon durch die breiten Reifen erfolgreich gedämpft, die Blattfeder-Sattelstütze aus Carbon erhöht den Komfort dann nochmals. Für eine bequeme Fahrt sorgen auch der weiche Sattel und die Ergo-Lenkergriffe. Außerdem natürlich die aufrechte Sitzposition, die zum Beispiel deutlich weniger sportlich-gestreckt ist als am Schwestermodell Commuter:ON.

Fazit

Mit dem Precede:ON CF 9 bietet Canyon ein wahres Allround-Talent mit fast schon futuristischen Design. Die umfangreiche Ausstattung lässt beim Einsatz in der Stadt absolut nichts vermissen. Mehr sogar: mit stabilem Gepäckträger, Anhänger-Option und zusätzlichen Optionen wie einem Frontgepäckträger wird es sogar zum Lastentransporter. Und dass ausgerechnet ein solch praktisches Bike mit diesem vollintegrierten Design aufwarten kann, macht das Precede:ON dann wirklich besonders!

Hochwertige Komponenten wie der Supernova-Scheinwerfer mit Fernlichtfunktion oder die federnde Carbon-Sattelstütze unterstreichen, dass dieses Bike zu den Besten seiner Klasse gehören will. Dazu zählt auch der Bosch-Antrieb, der zwar bekanntermaßen nicht zu den leisesten Vertretern seiner Zunft gehört. Dafür entschädigt er mit Leistung im Überfluss, wodurch man mit dem Precede:ON fast jede Strecke recht mühelos zurücklegen kann.

Enviolos Automatikgetriebe überzeugt dabei mit hohem Komfort: Nicht mehr schalten zu müssen ist besonders in der Stadt ein wahrer Luxus, an den man sich schnell und gerne gewöhnt. Ideal zum Beispiel für Pendler, die nach einem stressigen Arbeitstag einfach nur ganz entspannt nach Hause radeln wollen. Allerdings braucht dieses Getriebe auch durchaus etwas Eingewöhnung, da sich die Charakteristik doch deutlich von gewohnten Kettenschaltungen unterscheidet.

Passend zum Design und den Komponenten ist auch die Qualitätsanmutung und Verarbeitung des Precede:ON CF 9 auf Top-Niveau – was sich dann auch im Preis widerspiegelt: 4.999 Euro werden für das Bike fällig. Interessierte haben dabei drei Rahmengrößen und zwei Farben zur Auswahl. Neben dem Chamagne des Testmodells gibt es das Bike auch in blaugrauem Anchor Grey.

Für einen bequemeren Einstieg bietet Canyon die Precede-Modellreihe übrigens auch mit dem Zusatz „ST“ (Step Through) als Tiefeinsteiger-Komfortrahmen an. Und wer mit dem Automatikgetriebe hadert und eine möglichst direkte und schnell ansprechende Schaltung bevorzugt, sollte sich das etwas günstigere Precede:ON CF 8 anschauen: hier ist eine konventionelle 12-Gang Kettenschaltung verbaut.

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