Mit der Electric G Line wagt Brompton einen Schritt, der lange überfällig schien: Erstmals erweitert das Londoner Unternehmen das klassische 16 Zoll-Format und bringt ein Faltrad mit 20 Zoll-Reifen auf den Markt. Dazu kommt ein neu entwickelter E-Antrieb, der sich fast unsichtbar in das Design integriert. Doch bei allen Neuerungen bleibt die entscheidende Frage: Ist es immer noch ein echtes Brompton? Unser Test klärt, wie sich das Bike in der Praxis schlägt.
Design
„Form follows Function“: bei kaum einem Fahrrad passt dieser Satz besser als beim ikonischen Brompton. Schon immer haben die Engländer ihre Modelle so gestaltet, dass sie sich im Alltag beweisen – und viele Details entdeckt man erst im Gebrauch. Der Look hingegen ist seit 1975 unverwechselbar: der geschwungene Hauptrahmen mit seinem cleveren Faltkonzept bilden eine Formensprache, die inzwischen weltweit bekannt ist.

Auch die Electric G Line trägt diese DNA in sich. Obwohl sie eine Nummer größer ausfällt, bleibt das Gesamtbild stimmig. Die etwas voluminöseren Rahmenrohre harmonieren mit den 20 Zoll-Laufrädern und lassen das Rad trotz der neuen Dimensionen nicht unausgewogen wirken. Dass es sich dabei um ein E-Bike handelt, fällt auf den ersten Blick kaum auf. Der kompakte Nabenmotor verschwindet fast unsichtbar im Hinterrad, der Akku ist in einer hochwertigen Tasche an der Front versteckt.
Ein echter Hingucker ist auch die Rahmenfarbe „Adventure Orange“. Im Sonnenlicht funkelt der kräftige Farbton noch intensiver und verleiht dem Bike zusammen mit den breiten Reifen einen robusten Outdoor-Look. Damit deutet die Electric G Line schon optisch an, dass sie nicht nur auf den glatten Asphalt der Großstadt beschränkt ist.
Ausstattung
Brompton spart bei der Ausstattung nicht: E-Antrieb, Schaltung, Lichtanlage, Schutzbleche und Gepäckträger – unser Testmodell bringt alles mit, was ein Alltagsrad braucht. Besonders ins Auge fällt das neue Reifenformat: Aufgezogen waren am Testrad Continental Contact Urban mit 50 mm Breite in 20 Zoll, am Serienmodell werden nun aber – je nach Modellvariante – Schwalbes Big Apple oder G-One Allround mit bis zu 54 Millimeter Breite verbaut. Diese lassen sich auf unterschiedlichstem Terrain nutzen und bieten genügend Volumen, um auch auf unebenem Untergrund Komfort zu bieten.



Die Schutzbleche fallen etwas kürzer aus, sind aber mit Schmutzlappen versehen und schützen dadurch trotzdem überraschend effektiv. Am vorderen Schutzblech sitzt ein Lezyne E115-Scheinwerfer mit 310 Lumen, hinten am Gepäckträger ist ein Rücklicht von Busch & Müller angebracht. Beide Lichter werden vom Hauptakku mit Strom versorgt. Bei der umfangreichen Ausstattung vermisst man höchstens noch einen Fahrradständer – aber hey, das ganze Bike lässt sich ja gefaltet stabil auf gleich vier Rollen abstellen!



Geschaltet wird mit einer 4 Gang-Kettenschaltung, die eine überschaubare Bandbreite von 160 Prozent bietet. Für zusätzlichen Vortrieb sorgt der kompakte Nabenmotor im Hinterrad, dessen Unterstützung über einen Drehmomentsensor gesteuert wird. Bedeutet: je kraftvoller man in die Pedale tritt, desto mehr mehr Power liefert der Motor. Der Akku in der Fronttasche bietet eine ordentliche Kapazität von 345 Wh und wiegt zusammen mit der Tasche gut 3,3 kg. Praktisch: Die Tasche lässt sich nicht nur leicht abnehmen, sondern bietet auch noch zusätzlichen Stauraum von rund 1,5 Liter. Hier lässt sich zum Beispiel auch das ultra-kompakte Ladegerät verstauen, das mit unter 250 g Gewicht zudem sehr leicht ist. Das Bike selbst haben wir (ohne den Akku) fahrfertig mit geringen 16,2 kg gewogen.

Natürlich bringt die Electric G Line auch die typischen Faltrad-Features mit, die man von Brompton kennt: der zweifach faltbare Rahmen, die umklappbare Vorbau-Lenkereinheit, eine einziehbare Sattelstütze sowie die kleinen Eazy Wheels am Gepäckträger, auf denen sich das Rad im gefalteten Zustand schieben lässt.
Bedienung
Als wir das Bike zum Test hatten, war die Bedienung für unseren Geschmack ein wenig zu puristisch: Ein klassisches Display gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht. Stattdessen erfolgte die Steuerung direkt am Akku, der in der Fronttasche sitzt. Durch ein kleines Sichtfenster im Deckel hat man Zugriff auf zwei Taster – zum Ein- und Ausschalten, zum Wechsel zwischen den drei Fahrmodi sowie zum Aktivieren des Lichts. Blaue LEDs zeigen dabei die gewählte Unterstützungsstufe und den Ladezustand in fünf Segmenten an. Das funktionierte zuverlässig, erforderte aber etwas Gewöhnung, da man zum Ändern der Einstellungen immer an die Tasche greifen musste.
Mit dem jüngsten Modellupdate auf das e-Motiq System hat Brompton nun aber ein Display nachgereicht – eine willkommene Verbesserung! Damit lassen sich die wichtigsten Fahrdaten wie Geschwindigkeit, Akkustand und gewählte Unterstützungsstufe direkt ablesen, und die Fahrmodi können bequem über das Display gewechselt werden. Zusätzlich bietet die zugehörige Smartphone-App Zugriff auf erweiterte Funktionen wie Routenaufzeichnung, Fahrstatistiken und Systemupdates. Insgesamt wird die Bedienung damit deutlich intuitiver und komfortabler sein.



Der Akku selbst lässt sich dank Griff und Entriegelungsknopf schnell entnehmen und bequem tragen – das Handling ist so simpel wie überzeugend! Allerdings: fest anschließen lässt sich die Tasche mit dem Akku am Bike nicht. Wer einem Diebstahl vorbeugen will, sollte die Tasche bei längeren Stops daher besser mitnehmen.
Keine Überraschungen gibt es bei den übrigen Komponenten: Die Kettenschaltung reagiert präzise, die hydraulischen Tektro-Scheibenbremsen sind kräftig und gut dosierbar bei jedem Wetter – eine klare Weiterentwicklung gegenüber den kleineren Brompton-Modellen, die mit Felgenbremsen ausgestattet sind.
Essentielles Thema in Sachen Bedienung ist bei einem solchen Rad natürlich der Faltmechanismus. Zwar erfordert er beim ersten Mal etwas Übung, doch ist er nach etwas Eingewöhnung durchaus in unter 20 Sekunden zu bewältigen – diese Zeit war schon bei der Entwicklung des ersten Brompton Faltrads die Zielmarke. Mit einem Packmaß von 72 x 67 x 41 Zentimetern ist das Bike angenehm kompakt und gut zu handhaben.



Spätestens dann wird auch offensichtlich, wie durchdacht das Faltsystem von Brompton ist. Beispiele gefällig? Durch die eingefahrene Sattelstütze bleibt der Hinterbau sicher arretiert und kann nicht versehentlich aufklappen. Vorderrad und Lenker bleiben ebenso sicher in ihrer Position. Und weil der Antrieb mit der Kette nach innen geklappt ist, bleibt die Kleidung sauber. Den Transport machen die Eazy Wheels besonders komfortabel: mit ihnen schiebt man das gefaltete Rad wie einen Trolley auf vier Rädern vor sich her. Zudem lässt sich das linke Pedal abnehmen und an der Gabel verstauen – viele Details, welche Bromptons 50-jährige Faltrad-Erfahrung widerspiegeln.
Fahreindruck
Steigt man mit den typischen Erwartungen an ein kleines Faltrad auf die Electric G Line, wird man direkt überrascht: Denn das Rad fühlt sich keineswegs klein an – sondern eher wie ein kompakteres, aber vollwertiges Fahrrad. Angenehm ist die Sitzposition mit einer leicht sportlichen Note. Passend dazu ist das Handling des Bikes durch die 20 Zoll-Räder super wendig und direkt. Gleichzeitig wirkt es aber sehr stabil und selbst bei höheren Geschwindigkeiten bleibt es verwindungssteif und sicher.

Grund für die agilen Fahreigenschaften ist natürlich auch der Motor im Hinterrad. In seiner höchsten Stufe liefert er unerwartet viel Kraft, die mittlere Stufe ist daher für den Alltag oft ausreichend, während die kleinste Stufe bewusst mehr Eigenleistung fordert. Dank des Drehmomentsensors erfolgt die Unterstützung angenehm feinfühlig und an der 25 km/h-Marke schaltet sich der Motor sanft ab bzw. wieder rein. Mit dem großen 50er-Kettenblatt erreicht man schnell höhere Geschwindigkeiten, an Anstiegen hilft einem dann der Motor. Im Test kamen wir mit dieser Abstimmung gut zurecht und auch steile Strecken liessen sich mit den vier Gängen der Schaltung gut bewältigen.
Positiv ist auch die leise Arbeitsweise des Motors – selbst unter voller Last akustisch kaum wahrnehmbar. Einziger Kritikpunkt war während des Tests neben der etwas umständlichen Bedienung des elektrischen Antriebs die verzögerte Unterstützung des Motors beim Anfahren am Berg. Beide Punkte ist Brompton aber mit dem jüngsten Modellupdate auf das e-Motiq System angegangen: das neue Display am Lenker vereinfacht die Bedienung und zudem gibt es jetzt einen Start-Assist-Modus, der auf Knopfdruck volle Unterstützung beim Anfahren liefert. Großartig, denn abgesehen von diesen beiden Themen lieferte der elektrische Antrieb im Test eine überzeugende Vorstellung ab und macht die Electric G Line zu einem echten Spaßgefährt!



Hinzu kommt der Komfort der breiten Reifen: sie lassen sich mit reduziertem Luftdruck fahren und gleichen dadurch viele Unebenheiten aus. Auf Kopfsteinpflaster in der Stadt rollen sie angenehm weich, und selbst gröberem Schotter-Untergrund zeigen sie sich gewachsen. Diese Vielseitigkeit macht die Electric G Line zu einem Rad, das im Alltag ebenso begeistern kann wie auf Abenteuer-Ausflügen.
Fazit
Die Brompton Electric G Line überrascht in vielerlei Hinsicht. Sie fährt sich nicht wie ein kleines Faltrad, sondern eher wie ein kompaktes, vollwertiges Fahrrad. Das Zusammenspiel aus Fahrspaß, Stabilität und Alltagstauglichkeit überzeugt, während der Motor eine harmonische und dennoch kraftvolle Unterstützung liefert. Unsere einzigen Kritikpunkte sind durch das jüngste e-Motiq Update mit dem Display am Lenker und einem Start-Assist-Modus hinfällig geworden. Zudem überzeugt das System mit cleveren Details, etwa bei der Integration des Akkus in seiner stylischen und praktischen Tasche.
Obendrauf bietet es den Mehrwert des ausgeklügelten Faltmechanismus und der einfachen Handhabung. Mit wenigen Handgriffen verschwindet das Rad auf ein erstaunlich kleines Maß und lässt sich dann bequem schieben und abstellen. So findet es im Zug, im Auto oder auch in der Wohnung mühelos seinen Platz.
Alles in allem liefert Brompton zu einem Preis ab 4.249 Euro ein überzeugendes Gesamtpaket, das nicht nur typische Faltrad-Pendler anspricht. Die vielseitigen Eigenschaften der Electric G Line könnten sogar jene überzeugen, die bisher keinen Grund für ein Faltrad gesehen haben.
Neben der Farbvariante des Testrads in Adventure Orange gibt es das Bike auch in Forest Green, Traildust White und der ganz neuen Farbe Space Black, jeweils in den drei Größen S, M und L. Weitere Infos zu den Modellen finden sich direkt auf der Website von Brompton.




