Heute im Test: das Orbea Vibe H10 MUD. Ein leichtes E-Bike, dessen elektrischen Antrieb man dem schlanken Rad kaum ansieht und das viele Möglichkeiten zur Individualisierung bietet. Doch damit nicht genug: als direkter Nachfolger muss sich das Vibe auch an seinem Vorgänger aus der Gain Urban-Modellreihe (hier hatten wir das Gain F40 getestet) messen – dem Bike, das solch leichte Bikes mit unsichtbarem E-Antrieb in der Masse populär gemacht hat. Während die damalige Gain-Plattform aber noch gleichermaßen für Rennräder, Gravel-und Urban-Bikes genutzt wurde, hat man sich beim Vibe nun voll und ganz auf den urbanen Einsatz konzentriert. Welche Vorteile das bringt, zeigt sich in diesem Test!
Design
Das ist ein E-Bike? Während man schon beim Vorgänger genauer hinsehen musste, um den elektrischen Antrieb zu sehen, treibt Orbea dieses Versteckspiel beim Vibe auf die Spitze: am eleganten Rahmen aus Aluminium selbst gibt es – mit Ausnahme einer kleinen Abdeckung für die Ladebuchse am Tretlager – keinerlei Hinweis darauf, dass man es mit einem E-Bike zu tun hat. Selbst das Unterrohr, in dem der Akku verbaut ist, passt in seinen Dimensionen stimmig zu den übrigen Bestandteilen des Rahmens. Die Bedienung des Antriebs erfolgt einzig über einen kleinen Taster am Lenker, der dort kaum auffällt. Unauffälliger lässt sich der Antrieb eines E-Bikes kaum umsetzen!
Doch auch in anderen Bereichen überzeugt das Vibe mit einer aufgeräumten Optik: so werden am Lenker alle Kabel und Leitungen direkt darunter in den Vorbau geleitet, wodurch diese von der Seite und von oben weitgehend unsichtbar sind. Neben einem cleanen Design bringt dies zudem den Vorteil, dass die Kabel damit besser vor einer Beschädigung von außen geschützt sind – beim Abstellen des Bikes im öffentlichen Raum durchaus ein relevanter Aspekt.
Ein weiteres Highlight ist das integrierte Tagfahrlicht oberhalb des Steuerrohrs. Ein kleines und bündig integriertes LED-Element, das man bei keinem anderen Hersteller findet. Einen vollwertigen Scheinwerfer ersetzt es freilich nicht, diesen gibt es aber auch am Vibe – zentral positioniert am Lenker.
Und noch eine Besonderheit: das Design des Bikes lässt sich beim Vibe auf Wunsch umfangreich anpassen. Zwar haben die günstigeren H30-Modelle der Vibe-Serie stets eine festgelegte Farbgebung, bei den teureren H10-Bikes bietet sich dank Orbeas MyO-Programm die Option für eine wirklich vielfältige Individualisierung.
Orbea war so freundlich, dieses Testrad nach unseren Wünschen aufzubauen – was zu folgender Konfiguration führte: Aus fünf verfügbaren Rahmenfarben setzte sich hier das betörende Metallic Dark Red durch. Ein vielschichtiger Metallic-Farbton, dessen Brillanz sich kaum auf dem Foto widerspiegelt. Die Gabel hätte zwar in einer anderen Farbe lackiert sein können, sollte hier aber auch rot sein. Und selbst die Schutzbleche kann man in einer der fünf Farben lackieren lassen, was aber schnell zu „etwas gewagten“ Ergebnissen führt. Optional gibt es die Schutzbleche aber auch unlackiert und damit in mattem Schwarz – perfekt, um diese möglichst unauffälligen erscheinen zu lassen! Auch die Reifen gibt in gewöhnlichem schwarz oder aber wie hier mit brauner Gumwall-Flanke. Eben dieser Farbton passt dann ganz gut zu den Gummi-Elementen am Sattel und den Lenkergriffen von Brooks. Beide Teile sind hier in der fast weißen Ausführung Nature gewählt, alternativ gibt es sie auch komplett in schwarz oder in schwarz mit kupferfarbenen Details. Schlussendlich lassen sich sogar noch kleine Rahmendetails wie die Orbea-Plakette am Steuerrohr in kupferfarbener oder auch in silbriger Ausführung ordern – wir haben es hier aber bei neutralem schwarz belassen. Man sieht: die Optionen sind vielfältig, das Ergebnis erfreulich individuell!
Ausstattung
Fangen wir beim elektrischen Antrieb an: das X35+ System von Mahle besteht aus einem kompakten Nabenmotor im Hinterrad, der für diese Bauart typische 40 Nm an Drehmoment bietet. Damit ist ein solcher Antrieb zwar schwächer als viele Mittelmotoren, ermöglicht aber ein sehr leichtes Gesamtgewicht. So bringt das Vibe H10 MUD in Größe L fahrfertig gewogene 16,5 kg auf die Waage – ein wirklich guter Wert für ein E-Bike mit alltagstauglicher Ausstattung! Komplettiert wird der elektrischen Antrieb von einem Akku mit 250 Wh Kapazität, fest verbaut im Unterrohr. Die Steuerung erfolgt über den iWoc Trio genannten Daumentaster am Lenker. Auf ein konventionelles Display wird hier also bewusst verzichtet, detaillierte Informationen liefert aber auf Wunsch die Mahle App fürs Smartphone.
Damit sich auch trotz des Nabenmotors bergige Strecken bewältigen lassen, ist am Vibe H10 eine Kettenschaltung mit riesiger Bandbreite verbaut. Diese stammt aus Shimanos XT-Serie und ist am Hinterrad mit einer gewaltigen Kassette und Ritzeln von 11 bis 51 Zähnen ausgestattet. Die Bremsanlage kommt von Magura – am stärker beanspruchten Vorderrad mit dem Modell MT5 E-STOP und vier Bremskolben, am Hinterrad mit der MT4 eStop und zwei Kolben.
Neben dem bereits erwähnten Tagfahrlicht ist auch eine „richtige“ Lichtanlage von Lezyne verbaut. Vorne am Lenker mit dem Scheinwerfer POWER STVZO PRO E115, der neben einem Abblendlicht auch eine Fernlichtfunktion bietet. Das FENDER STVZO Rücklicht ist am Schutzblech befestigt, bietet aber keine Zusatzfunktion wie beispielsweise ein Bremslicht.
Sattel und Lenkergriffe kommen von Brooks aus der Cambium-Serie mit dem C15-Sattel und den entsprechenden Lenkergriffen. Die Reifen vom Typ Kenda K1052 sind mit 45 mm angenehm breit und tubeless (also ohne Fahrradschlauch) montiert, die 10 mm breiteren Schutzbleche von Curana passen dazu gut. Komplettiert wird die Ausstattung noch von Knogs Oi-Klingel und einem Seitenständer.
Einen Gepäckträger sucht man an diesem Modell übrigens vergebens vergebens – aus gutem Grund. Das MUD genannte Modell richtet sich an alle, die bewusst auf einen Gepäckträger verzichten können oder wollen. Wer diesen allerdings haben möchte, greift einfach zur EQ-Variante und erhält dann sogar eine passende Gepäcktasche dazu, die sich zum Rucksack umfunktionieren lässt!
Bedienung
Wie eingangs erwähnt, lässt sich der elektrischen Antrieb direkt am Bike nur über einen Daumentaster am Lenker steuern – was unweigerlich zur Frage führt, ob das denn ausreicht? Die Antwort darauf kann klar mit Ja beantwortet werden! Denn auch wenn dieses Bedienelement namens iWoc Trio recht kompakt gehalten ist, lässt es doch sehr intuitiv die Steuerung des Motors zu.
Zwischen den 4 Fahrmodi (Motor aus, schwach, mittel, stark) lässt sich einfach mit den Pfeiltasten hoch- und runterschalten. Dabei wechselt die LED-Anzeige zwischen den Farben weiß, grün, orange und rot. Kurz nachdem der Fahrmodus verändert und angezeigt wurde, wechselt die LED-Darstellung dann zur Anzeige der verbleibenden Akku-Kapazität in 25%-Schritten. Weiß stellt dabei die höchste Kapazität dar, bei rot ist der Akku am anderen Ende der Skala angelangt – und wenn es zu blinken beginnt, ist der Akku nahezu leer. Zusätzliche Funktionen gibt es mit einer Schiebehilfe (Pfeil nach unten im Stand lange gedrückt halten) und zur Steuerung der Lichtanlage (Pfeil nach oben länger drücken). Erwähnenswert ist auch, dass jeder Tastendruck durch Vibration auch ein haptisches Feedback gibt.
Während die Grundfunktionen des Tasters insgesamt leicht von der Hand gehen, gibt es aber auch ein paar Kleinigkeiten, die man kritisieren kann: So ist die farbige LED-Anzeige im hellen Sonnenlicht nur schlecht zu erkennen und es gibt keine visuelle Rückmeldung, ob sich die Lichtanlage des Bikes nun auch wirklich eingeschaltet hat. Leider arbeitet der Taster hier nicht ganz zuverlässig und man ist gezwungen, einen Kontrollblick auf das Licht zu werden.
Wobei das Thema der Licht-Steuerung am Vibe ohnehin ein ganz eigenes ist: mit besagtem Daumentaster schaltet man im Grunde nur das Rücklicht ein und aus. Der Hauptscheinwerfer selbst besitzt einen eigenen Taster am Lenker mit dem sich durch mehrfaches Drücken zwischen Abblend- und Fernlicht umschalten lässt. Und dann gibt es noch das Tagfahrlicht: dieses arbeitet völlig unabhängig von beiden genannten Tastern und lässt sich nur über einen kleinen Schalter neben dem LED-Element ein- bzw. ausschalten.
Was in Summe nun nach großem Chaos klingt, lässt sich im Alltag aber recht einfach handhaben: Tagfahrlicht und Rücklicht bleiben bei jedem Einschalten des Bikes an, wenn sie bereits zuvor aktiviert waren. So muss man sich um beides vor der Fahrt keine weiteren Gedanken machen, beide Lichter leuchten einfach immer – was gerade in der Stadt zu einer besseren Sichtbarkeit, egal zu welcher Tageszeit, beiträgt. Der Akkuverbrauch beider Lichter dürfte zudem überschaubar sein (das Rücklicht verbraucht nur 1,25 Watt). Den Scheinwerfer kann man hingegen gezielt über dessen eigenen Taster einschalten, wenn man ihn denn wirklich benötigt.
Durch die fixe Bauweise im Rahmen kann der Akku nur im Rad aufgeladen werden. Dafür steht eine Ladebuchse oberhalb des Tretlagers zur Verfügung, die mit einer Gummiabdeckung vor Schmutz und Wasser geschützt ist. Das Ladekabel selbst ist etwas frickelig zum einstöpseln, die Ladezeit liegt bei rund 3 Stunden. Fun Fact: beim Ladevorgang leuchten dann wieder Positions- und Rücklicht – warum auch immer.
Bei den mechanischen Komponenten besticht die Shimano XT-Schaltung durch präzise und schnelle Schaltvorgänge mit dem leicht zu bedienenden Taster an der rechten Seite des Lenkers. Auch die Bremshebel lassen sich leicht erreichen, haben aber etwas kurze Bremshebel für eine Bedienung mit zwei Fingern. Für manche NutzerInnen anfangs vielleicht etwas ungewohnt, nach kurzer Eingewöhnung aber kein Nachteil.
Fahreindruck
Da insbesondere bei Nabenmotoren immer wieder dieses Thema aufkommt, muss es auch hier kurz erklärt werden: Man unterscheidet bei der Steuerung des Motors zwischen festen Fahrstufen und einer Messung des Drehmoments. Über einen Drehmomentsensor wird die Motorkraft abhängig von der Kraft, mit der man ins Pedal tritt, geregelt. Tritt man stark, gibt es viel Unterstützung vom Motor. Tritt man nur ganz schwach, schiebt auch der Motor nur wenig an. In Summe also eine Arbeitsweise, die dem Fahrradfahren sehr nahe kommt. Anders bei festen Fahrstufen: hier gibt der Motor nach vorgegebener Einstellung immer eine feste Menge an Leistung ab, egal ob man stark oder schwach ins Pedal tritt. Aus unserer Sicht prinzipiell die schlechtere Variante, doch kann man dies nicht unbedingt pauschalisieren.
Denn obwohl Mahle im X35-System keinen Drehmomentsensor verbaut, lies sich der Einsatz des Motors schon beim Vorgänger Orbea Gain im Test sehr angenehm kontrollieren. Und um es vorwegzunehmen: auch das Orbea Vibe macht hier keine Ausnahme! Zwar wurde bei der Einführung der aktuellen Modellreihe von Orbea eine Drehmomentsimulation per Software genannt, allerdings arbeitet das System weitgehend wie gewohnt. Ein Unterschied ist aber im Ansprechverhalten zu erkennen: hier zeigt sich, dass der Motor nochmals etwas sanfter einsetzt.
Ein großer Bonus des Orbea Vibe bei der alltäglichen Nutzung ist der iWoc Trio-Lenkertaster, mit dem sich die Unterstützungsstufen schnell und einfach anpassen lassen. Wer in der Ebene gemütlich dahinrollt, kommt mit der schwächsten Stufe gut zurecht; die höchste Stufe würde das Bike hingegen fast schon anschieben. Braucht man aber am Anstieg mehr Power, lässt sich diese mit einem einfachen Tastendruck am Lenker abrufen. Zum Vergleich: viele andere Bikes mit dem X35-Antrieb haben zur Steuerung nur einen Taster am Oberrohr, welcher vergleichsweise umständlich zu bedienen ist.
Dass Nabenmotoren nicht zu den stärksten E-Antrieben zählen, wurde eingangs erwähnt. Dies kompensiert Orbea aber geschickt durch die gewählte Kettenschaltung mit ihrer riesigen Übersetzung. Selbst steile Anstiege liessen sich dadurch bewältigen, auch wenn dabei durchaus etwas Krafteinsatz vom Fahrer bzw. der Fahrerin gefordert ist. Wer nicht oft in bergigem Gelände unterwegs ist, wird diese extremen Gänge im Alltag zwar nicht unbedingt benötigen – kann aber doch beruhigt sein, solche Reserven zu haben.
Ein Vorteil des geringen Gewichts zeigt sich am Vibe dann in der agilen Fahrweise: die gut 16 kg lassen sich fast spielerisch bewegen und auch ohne Unterstützung des E-Antriebs kann man das Bike sehr angenehm fahren. Hier lernt man dann übrigens schnell wieder die hohe Bandbreite der Schaltung zu schätzen, die man ohne Motorunterstützung vermehrt ausnutzt.
Die grundlegende Konzeption des Vibe für den urbanen Einsatz merkt man auch an der Rahmengeometrie an. Diese ist, verglichen mit dem Vorgänger, weniger auf Sportlichkeit und mehr auf Komfort ausgelegt. Dies wollte Orbea wohl auch durch einen breiten Lenker erreichen, mit dem sich das Bike souverän und sicher kontrollieren lässt – doch mit einer Breite von 700 mm ist man dabei etwas über das Ziel hinausgeschossen! Ein minimal schmaleres, dafür aber etwas ergonomischer geformtes Modell wäre hier wünschenswert gewesen. Die Lenkergriffe gefallen zwar durch ihre Optik, sind aber doch sehr hart. Hier wären die neuen Ergo-Lenkergriffe von Brooks eine Alternative, doch gibt es diese leider nicht in einer hellen Ausführung. Gewohnt positiv ist aber der Cambium-Sattel zu bewerten, der die typische Hängematten-Konstruktion aufweist und damit durchaus komfortabel zu fahren ist.
Stichwort Komfort: auch wenn das Vibe über keine aktive Federung verfügt, muss man hier unbedingt die tubeless montierten Reifen erwähnen. Diese erhöhen den Fahrkomfort deutlich, da sie sich mit weniger Luftdruck fahren lassen als ihre Pendants mit klassischem Fahrradschlauch. Zudem ist die Pannensicherheit erhöht, da sich in Tubeless-Reifen eine Dichtflüssigkeit befindet. Mit dieser sollten Einstiche dann an der jeweiligen Stelle von allein versiegelt werden. Im Auge behalten muss man hingegen, dass diese Dichtflüssigkeit ungefähr zweimal im Jahr ersetzt bzw. aufgefrischt werden sollte.
Fazit
Mit dem Vibe hat Orbea einen würdigen Nachfolger für die populären Urban-Bikes der Gain-Serie entwickelt, der sich in allen Belangen überlegen zeigt. Der elektrische Antrieb folgt dem Enough Energie-Prinzip und bietet eine Leistung, die für alltägliche Fahrten im urbanen Einsatz ausreichend ist und dabei ein niedriges Gewicht des Bikes ermöglicht. Aktive FahrerInnen erhalten mit dem Vibe dadurch ein agiles E-Bike, das sich auch ohne Zuschaltung des Motors noch angenehm fahren lässt – wozu auch die hohe Bandbreite der Gangschaltung des H10-Modells beiträgt. Die Ausstattung mit stabilen Schutzblechen und Fahrradständer richtet sich ebenso an Pendler wie die komfortable und pannensichere Bereifung.
Mit 3.699 Euro zählt das hier getestete H10 MUD zwar zu den teureren Vertretern aus Orbeas Vibe-Serie, bietet dafür auch sehr hochwertige Komponenten und zudem die Möglichkeit für umfangreiche Individualisierungen – und allein das dürfte für so manchen einen Aufpreis rechtfertigen!
Weitere Informationen zu den Vibe-Modellen gibt es hier auf Orbeas-Website.